Egyd Gstättner über »Leopold der Letzte«

In Ihrem aktuellen Roman widmen Sie sich dem Leben von Leopold von Sacher-Masoch – wie kam es dazu?

Ich habe den österreichischen Don Quijote geschrieben. Die Figur des Leopold von Sacher-Masoch einmal in den Mittelpunkt eines Romans zu stellen, reizt mich seit einem Vierteljahrhundert. Aber ich hab mich nie getraut, weil es eine sehr heikle, peinliche, gefährliche und riskante Geschichte ist. Jetzt im Alter und angesichts überschaubarer Restlebenszeit wird man mutiger. Man hat ja so oder so nicht mehr viel zu verlieren. Und es waren in diesem Roman eine ganze Menge lebensentscheidender Wahrheiten zu sagen, die noch nicht gesagt worden sind. Der »Masochismus« interessiert mich als säkularer Bruder des Christentums, als Philosophie und vor allem Psychologie mehr denn als Sexualpraktik. Einer der geistigen Söhne von Sacher-Masoch ist Franz Kafka, ein anderer James Joyce. So nebenbei hatte Leopold ein sehr  interessantes, hochmetaphorisches Leben mit vielen Höhen und noch mehr Tiefen, das spannend zu erzählen war: Nicht nur sein Sexualleben und seine Inszenierungen.

Sie haben in der Vergangenheit bereits einige Schriftsteller porträtiert und dabei Parallelen zu Ihnen selbst gezogen. Wie viele Leben schlummern denn in Ihnen?  

Danke für die Frage, die ist mir ganz wichtig: Ich bin Schriftsteller, Romancier, Erzähler, kein Biograf! Ich schreibe belletristische Literatur, Erzählungen, Romane, keine Biografien. Wahr ist allerdings, dass in meiner Literatur öfters Personen auftreten und agieren, die Namen real existierender (oder existiert habender) Personen tragen. Damit soll angedeutet werden, dass meine Literatur nicht in Wolkenkuckucksheim angesiedelt ist, sondern mit der Realität, mit der Wirklichkeit zu tun hat, sie beackert und spielerisch »reflektiert«.Die meisten Schriftsteller schöpfen (oder destillieren) aus dem eigenen Umfeld und dem eigenen Leben. Sie fiktionalisieren das Autobiografische, geben ihren Protagonisten, die sie selbst, ihr Alter Ego oder Menschen aus ihrer Welt sind, erfundene Namen und jagen sie durch Bewusstseinszustände, Gedankenwelten und Handlungen, die Handlungen, Bewusstseinszuständen, Gedankenwelten ihrer Welt ähneln. Sie heißen Öhler, Reger, Franz Joseph Murnau, Hans Castorp, Serenus Zeitblom, Adrian Leverkühn, Leopold Bloom, Elisabeth Matrei, bei Michel Houellebecq heißen die meisten (Anti-)Helden übrigens »Michel« … Ich verfahre im Grund nach demselben Prinzip, nur dass ich auf einer weiteren Ebene eben reale Menschen in meine Geschichten einbaue, die ich fiktionalisiere und zu Figuren, Typen, vielleicht Archetypen mache… Diese Personen haben natürlich Ähnlichkeit mit mir, wie die Michels mit Michel Houellebecq. Übrigens sind das durchaus nicht nur Schriftsteller: Joseph Maria Auchentaller ist ein Maler, Carlo Michelstaedter Zeichner und Philosoph, Johann Sichalich Kriminalkommissar… Gemeinsam haben meine »Helden« (außer gewisse charakterliche oder biografische) Ähnlichkeiten mit mir selbst, dass sie in existentielle/existentialistische Situationen geraten und Wesentliches zu sagen haben. (Ich erzähle aus dem Leben schöpferischer, produktiver Menschen, weil ich selbst ein schöpferischer Mensch bin. Alles andere kommt für mich literarisch nicht in Frage). Deswegen musste ich meine Handpuppen oft von weit herholen, sowohl räumlich, als auch zeitlich… Implizit geht daraus hervor, dass ich ein sehr distanziertes Verhältnis habe: Zu meiner Zeit, zu meinen Zeitgenossen, zu meiner Stadt und meinem Land.Was meinen neuen Roman betrifft: Da schreibe nicht ich die Biografie von Leopold von Sacher Masoch! Ich führe einen fiktiven Erzähler ein, Xaver Saxer, der eine Biografie über Sacher-Masoch schreiben möchte, aber als er die Recherchen abgeschlossen hat und zu schreiben beginnen will, stirbt. Gleichzeitig bricht eine apokalyptische Pandemie aus. Das ist aber nicht Covid 19, sondern Feminacapta. Noch viel gefährlicher! Xaver Saxer erzählt von seinen Plänen und Studien jedenfalls aus dem Jenseits…

Wie kann man sich den Schreibprozess von Egyd Gstättner vorstellen? Ähnelt er jenem von Xaver Saxer?

Zwangsläufig. Allerdings gibt es einen großen Unterschied: Xaver Saxer ist tot. Ich lebe. Saxer ist in der beneidenswerten Situation, dass er sich literarisch nicht mehr beweisen muss – und kann. Sein Roman ist ungeschrieben, und er wird nie erscheinen. Meiner schon. Insofern ist auch alles, was Saxer über seinen Schreibprozess sagt, reine Behauptung. Gleichzeitig weiß man – dank mir – viel über Saxer und seine Lebensbegleitumstände, sein Umfeld und seine Motivation, seinen Roman zu schreiben (er hätte übrigens auch »Leopold der Letzte« heißen sollen! Über mich weiß man nichts

Planen Sie bereits weitere Romane, vielleicht auch mit einer Frau im Mittelpunkt?

Ich plane Erzählungen und Romane. Frauen? Leopold der Letzte ist voll von Frauenfiguren, die das Geschehen bestimmen, allen voran seine beiden Ehefrauen Wanda und Hulda sowie deren Entsprechungen in Saxers Realität, Herta und Marion. Dann auch das Schwesternpaar aus Pathologin und Psychoanalytikerin.Im Mittelpunkt meiner (vergriffenen) Erzählung »Das Mädchen im See« (2005 / 2011), die noch bei meinem alten Verlag erschienen ist, mehrere Auflagen erlebte und dort der erfolgreichste Titel war, steht die Liedermacherin Ottilie von Herbert, die auf mysteriöse Weise im Wörthersee verschwunden ist.